von theaterkonstanz

Quasimodo

Es ist früher Abend. Im Hof der Probebühne des Theaters, zwischen Autos und Fahrrädern, formiert sich eine Gruppe von Statisten und Schauspieler. Drumherum stehen das Regieteam und die Assistenten. Die meisten der Darsteller sehen ganz normal aus, einige tragen altertümlich anmutende Kleidung. Auf ein Kommando hin beginnt der Musiker Gabriel Cazes zu trommeln und  die Menge setzt sich mit viel Lärm in Bewegung. In ihrer Mitte ein buckliger Mann, gefesselt und in zerlumpten Kleidern. Die Prozession verschwindet langsam in den Räumen der Probebühne. Dort verteilt sich die Menge nach links und rechts, rund um provisorisch aufgebaute Podeste und Türme.

Auf einem der Podeste sitzt ein Mann in einer schwarzen Kutte. Grob wird der Bucklige in die Mitte des Schauplatzes geschubst. Der Mann in der schwarzen Kutte, der taube Richter Barbedienne, beginnt zu sprechen. „Euer Name? Gut. Euer Alter?“ fragt er, ohne die Antwort abzuwarten oder auch nur aufzuschauen. „Quasimodo. Glöckner. 25 Jahre.“, antwortet der Bucklige mühevoll und erntet dafür schallendes Gelächter vom Volk. Ohne auf ihn zu hören, verurteilt ihn der Richter kurzerhand zu 25 Peitschenhieben. Begleitet von der Menschenmasse, wird Quasimodo, der gar nicht weiß wie ihm geschieht, daraufhin auf ein Podest gezerrt. Dort wird er ausgepeitscht, während Auguste mit dem Rechenschieber genussvoll die Hiebe mitzählt. Die Menge schwankt bei jedem einzelnen Hieb zwischen der Euphorie des Folterknechts und dem Mitleid mit dem Gepeinigten.

Wer bei der gemeinsamen Probe diese Woche dabei war, wurde von der Energie dieser Szene in den Bann gezogen. Trotz der Probenbedingungen, konnte man bereits die Qualen des Quasimodo, die Sensationsgier des Volkes und die Willkür der Obrigkeit förmlich spüren.

Max Hemmersdorfer

Der Prozess und die Folter ist eine der ersten direkten Erfahrungen, die Quasimodo, nach der Wahl zum Narrenpapst, mit den Menschen macht. Denn fast sein ganzes bisheriges Leben verbrachte er abgeschottet, hinter den Mauern und im Schutz der Kirche. Aber wer ist eigentlich Quasimodo? In einem Gespräch mit dem Schauspieler Max Hemmersdorfer versuchten wir uns der Figur anzunähern, denn kaum jemand beschäftigt sich momentan mehr mit Quasimodo als er.

Quasimodo wurde als kleines Kind auf der Treppe vor dem Dom ausgesetzt, da ihn aufgrund seiner Hässlichkeit niemand wollte. Der Erzdekan Claude Frollo fand ihn dort und zog ihn von nun an auf. Quasimodo leidet an Wirbelsäulenverkrümmung und einem verkürzten Bein. Außerdem hatte er als Kind Sprechstörungen. Frollo brachte Quasimodo das Sprechen bei, doch durch die Arbeit als Glöckner wurde Quasimodo taub und verlernte langsam wieder das Sprechen. So ist Quasimodo auf seine Augen angewiesen. Sie sind sein einziges Mittel der Wahrnehmung und Kommunikation. Durch seine jahrelange Abgeschiedenheit von den Menschen fehlen Quasimodo aber vor allem soziale Erfahrungswerte. Er weiß nicht, wie man sich als Erwachsener verhält. Max Hemmersdorfer spricht davon, dass Quasimodo vielmehr seine eigenen Systeme baut, in denen er lebt. Er ist ein Teil der Kirche, nicht nur durch seine Funktion als Glöckner, sondern auch körperlich. Wie ein baulicher Bestandteil der Kirche, ein Stein der Kirchenmauer. Was er von der Welt draußen sieht, das sieht er nur aus der Vogelperspektive, er überblickt alles von dort oben, ist aber dennoch von dem was er sieht abgeschnitten.  Die wenigen Momente, in denen Quasimodo sich im Schatten des Doms herauswagt, sind die einzigen Berührungspunkte dieser beiden Welten, in denen Quasimodo wie eine Haut der Kirche heraustritt um dann bald wieder mit ihr zu verschmelzen. Die Wahl des Narrenpapstes und  die Peinigungen am Pranger sind die ersten Erfahrungen, die Quasimodo mit den Menschen, die vor ihm Angst haben, machen muss. Doch er erfährt nicht nur Häme und Abscheu dort unten, sondern auch die ersten Momente menschlicher Wärme, als Esmeralda ihm am Pranger zu trinken gibt. In dieser Geste liegt der Ursprung seiner Liebe, die er für den Rest seines Lebens für Esmeralda hegt.